Initiative Bildung Prekär
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Rundbrief 21.07.2013

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Rundbrief 21.07.2013 Empty Rundbrief 21.07.2013

Beitrag  Admin Mi Jul 24, 2013 8:28 pm

Datum: 21.07.2013

Hallo an alle Lehrkräfte,

anbei leiten wir euch im Anhang den Jahresrückblick 2013/1 des DaZ-Netzwerks weiter. Wir nutzen die Gelegenheit um unsere Sicht der Dinge einzubringen.

Zum Runden Tisch der GEW in Berlin ist unsere Initiative Bildung Prekär nicht eingeladen worden, weil die GEW traditionell im DaZ-Netzwerk ihren moderaten Gesprächspartner gefunden hat. Zwischen der GEW und uns hat es in der letzten Zeit Auseinandersetzungen gegeben, weil wir den Eindruck gewannen, dass die Gewerkschaft mit ihrer Forderung nach einem Mindestlohn von 30 € zu niedrig liegt.

An dieser Stelle stimmen wir dem DaZ-Netzwerk zu, wenn sie schreiben: "Wir haben jedoch darauf hingewiesen, dass 20€ - und sogar die Berliner 30€ - nicht ausreichen." Die 30 € entsprechen ca. 750 € netto, nach einer Berechnung der Lehrkräfte, die sich in der GEW Bielefeld organisiert haben. Wir haben Stephanie Odenwald, die bisherige Vorsitzende des Bereichs Weiterbildung, immer wieder gefragt, warum die GEW diese Forderung überhaupt aufrecht erhält und nicht gleich die völlige Gleichstellung mit Lehrkräften an öffentlichen Schulen fordert. Die Antwort war "das ist unrealistisch" oder "wenn wir das fordern, lachen uns die Politiker in Berlin aus". Außerdem hieß es, dass die GEW sich doch auch die Gleichstellung mit LehrerInnen an öffentlichen Schulen wünscht, wie es ja auch schon im Schwarzbuch 2 der GEW formuliert wurde.

Kommentar dazu: Im Schwarzbuch 2 ist das tatsächlich nachrangig nachzulesen, aber in der Öffentlichkeit werden nur die 30 € wahrgenommen. So schreibt Gudrun Hentges in ihrem Beitrag vom Juni 2013, den wir bei MIGAZIN rezensiert haben: "Die GEW und die "Aktion Butterbrot" thematisierten in den letzten Jahren die Arbeitssituation der freiberuflich tätigen DozentInnen und forderten ein Stundenhonorar von 30 Euro für diese anspruchsvolle, fordernde und gesellschaftspolitische Tätigkeit. Bislang blieb jedoch den Kursträgern die Entscheidung über das Stundenhonorar überlassen." (Hentges, S. 362) Von einer Forderung nach Gleichstellung mit LehrerInnen an öffentlichen Schulen hat auch die Professorin nichts mitbekommen.

Und in einem Flyer der GEW heißt es dann noch: "Die Höhe des Mindesthonorars sollte mindestens den früher gezahlten 23,10 Euro entsprechen. Grundsätzlich sollen Lehrkräfte in Integrationskursen langfristig gleich bezahlt werden wie Lehrende in anderen Bereichen des Bildungswesens." So steht es auf der Webseite der GEW unter der Überschrift "GEW-Forderungen zu den Integrationskursen". (Stand: 18.07.2013).

Auch die Darstellungen der GEW über ihren Runden Tisch in Berlin sind sehr spärlich und auch irreführend. Hier findet sich ein kurzer Artikel über das Treffen: „Zuständigkeiten werden hin- und hergeschoben“ Schon die Überschrift ist irreführend, denn zuständig für die Bezahlung der Lehrkräfte sind eindeutig die Träger. Mit ihnen macht man schließlich einen Arbeitsvertrag.

Die Rolle der SPD wird in den Artikel ebenfalls irreführend dargestellt: "Daniela Kolbe (SPD) erhoffte sich vom Runden Tisch „pfiffige Ideen“, wie sich die Situation der Dozentinnen und Dozenten dennoch verbessern lässt. Denn: „Umstürzen werden wir das System nicht.“ Das ist keine negative Vorausahnung, sondern einen Absichtserklärung, denn die SPD fordert nur 26 €, und außerdem fordert Frau Kolbe (SPD), dass Träger und Lehrkraft direkt zu Beginn des Vertrages eine Statusüberprüfung machen, in der beantragt wird, dass eine echte selbstständige Tätigkeit vorliegt. Damit sind die Träger juristisch aus dem Schneider. So perfektioniert die SPD das System. Kritik von der GEW an der SPD ist aber bisher noch nicht bekannt geworden. Die GEW klagte zwar auf abhängige Beschäftigungsverhältnisse, kommentiert aber den Vorschlag der Statusfeststellung gleich zu Beginn der Arbeit nicht.

Das DaZ-Netzwerk schreibt: "Der DVV lehnt grundsätzlich und vehement die Möglichkeit von Festanstellungen ab."

Richtig. Der DVV (Deutscher Volkshochschul-Verband) will keine Festangestellten. Unsere Initiative hat vor drei Monaten eine gemeinsame Veranstaltung mit drei GEW-Stadtverbänden gemacht, zu der wir auch Herrn Hammelrath, den Direktor des Landesverbandes der Volkshochschulen von NRW eingeladen haben. Herr Hammelrath hat abgelehnt, weil wir behauptet hätten, dass die Arbeitsverhältnisse an den Volkshochschulen und bei den Integrationskursen scheinselbstständig und damit illegal seien, strafbar nach § 266a StGB. Erst vor einigen Tagen haben wir die Mail einer Lehrkraft bekommen, der von der RV Bund eine Scheinselbstständigkeit bestätigt worden ist. Die VHS hat Einspruch eingelegt, nun wird der Fall vor Gericht verhandelt.

Wir gehen davon aus, dass nahezu alle Lehrkräfte in die Organisation der Träger eingebunden sind und dass sie nach Anweisungen handeln. In unserem monatlichen Beitrag bei MIGAZIN mit dem Titel "Integrationskurse - ein Beitrag zur Integration?" zitieren wir den wissenschaftlichen Beitrag Gudrun Hentges, in dem festgestellt wird, dass das BAMF beim Orientierungskurs "sehr detailliert Themen, Feinlernziele und Lerninhalte" (...) "präzisiert", und die genaue Anzahl von Unterrichtseinheiten festlegt. Wie kann man leugnen, dass hier Lehrkräfte nach Anweisungen handeln?

Allerdings ist die Festanstellung politisch nicht gewollt, weil sie für den Staat teurer würde, und der DVV unterstützt diese ausbeuterischen Zustände, indem er jedes Mal gegen den Bescheid der RV Bund klagt. Mit der freiberuflichen Tätigkeit lassen sich Lehrkräfte auch leichter disziplinieren: wer seine Rechte einfordert, der fliegt. Wir haben von einem Fall berichtet, wo eine Dozentin einen Antrag auf Urlaubsgeld gestellt hat und sofort gefeuert wurde - angeblich aus anderen Gründen, wie die VHS uns mitteilte. Die meisten Lehrkräfte dürften zumindest als "arbeitnehmerähnlich" gelten und deshalb einen Anspruch auf Urlaubsgeld haben. Aber wer traut sich schon, diesen rechtlich verbrieften Anspruch einzufordern, wenn er am nächsten Tag gefeuert werden kann?

Herr Hammelrath von der DVV hat unsere Einladung also dankend abgelehnt und sich bei der GEW - bei Stephanie Odenwald - über uns beschwert, weil wir die Leiterinnen und Leiter der Volkshochschulen angeblich "kriminalisieren" würden! Frau Odenwald hat an Frau Dorothea Schäfer, die Vorsitzende der GEW-NRW geschrieben, dass sie mit Besorgnis lese, was "der Kollege Rainer Hammelrath" über uns sage. "Ihr, Paul und Ulrich als ehemalige VHS-Leiter, kennt ja Hammelrath aus dem DVV und wahrscheinlich auch aus GEW-Zusammenhängen Eures Landesverbands." Frau Odenwald beklagt, dass unsere Initiative die GEW "an den Pranger" stelle und "in Misskredit bringt". Weiterhin ist noch von "diskriminierenden Aussagen gegenüber Volkshochschulleitern" die Rede.

Da in der GEW anscheinend eine Reihe Volkshochschul-Bediensteter organisiert sind dürfte uns diese Reaktion nicht wundern. Frau Schäfer und Frau Timmermann haben dann eine Mail an die GEW-NRW, Abteilung Weiterbildung, geschrieben, in der sie uns eben das vorwarfen, was Herr Hammelrath schon vorgegeben hatte. Wir würden diffamieren, diskriminieren und kriminalisieren.

Zu der gemeinsamen Veranstaltung mit der GEW ist einer von uns dreien dann gar nicht mehr gegangen. Einer von uns dreien ist noch in der GEW Stadtgruppe Bonn aktiv und kann dort auch mit der Basis der GEW gute Arbeit machen. Auch die Stadtgruppe der GEW Düsseldorf setzt sich engagiert für Lehrkräfte in Integrationskursen ein. Unsere Initiative hat in beiden Städten Gruppen für die prekär Beschäftigten im Bildungsbereich aufgebaut. Bis heute ist die Frage, warum die GEW nur 30 € fordert, unbeantwortet geblieben. Der letzte Hinweis lautete "mehr geht nicht", oder "mehr ist unrealistisch". Vielleicht liegt es einfach daran, dass der DVV Festanstellungen ablehnt, und vielleicht hat der DVV in der GEW mehr Einfluss als die paar Lehrkräfte, die dort Mitglied sind bzw. waren, weil sie mittlerweile wieder ausgetreten sind.

Nun zu unseren sogenannten Volksvertretern im Bundestag:

CDU/CSU und FDP, also über die Hälfte des deutschen Bundestages, lehnen eine Verbesserung der Situation der Lehrkräfte ab. Dazu könnte man einiges anmerken: das Bündnis Umfairteilen schreibt: "Die Armut in Deutschland hat in den letzten Jahren dramatisch zugenommen. 15,1 Prozent der Bevölkerung und damit mehr als jede/r Siebte sind armutsgefährdet. Anders als noch vor 15 Jahren ist Armut trotz Arbeit kein seltener Ausnahmefall mehr: fast 1,4 Millionen Menschen sind auf ergänzendes Arbeitslosengeld II angewiesen, obwohl sie erwerbstätig sind. Jede/r Vierte von ihnen arbeitet Vollzeit – und muss dennoch „aufstocken“, weil der Lohn noch unter dem Existenzminimum liegt. Insgesamt arbeitet fast jede/r vierte Beschäftige für einen Niedriglohn von weniger als 9,15 €/Brutto."

Als eine Ursache für die Armut nennt das Bündnis die Hartz-Reformen: "Nahezu jeder Job gilt als zumutbar – auch zu Hungerlöhnen und entwürdigenden Bedingungen. Mini-Jobs, Befristungen, Leiharbeit und der Missbrauch von Werkverträgen, unbezahlte Praktika und Scheinselbstständigkeit konnten immer weiter um sich greifen."

Die Scheinselbstständigkeit der Lehrkräfte ist also nur eine Variante, wie die Kosten für die Arbeitgeber (im Falle der Integrationskurse ist der Arbeitgeber streng genommen das Bundesinnenministerium, während die Träger als Subunternehmer fungieren) gesenkt werden können. Hinter den Hartz-Gesetzen und der Agenda 2010 stand der politische Wille, dass der Staat sich zurückzieht und die Gestaltung der Arbeitsverhältnisse und auch die Erlangung einer Rente den Privatanbietern überlässt. Das Ergebnis haben wir jetzt mit den Dumpinghonoraren und der nicht vorhandenen Rente. Eingeführt wurde das Ganze von Rot-Grün, und gutgeheißen von Schwarz-Gelb. Vier von fünf Parteien des Bundestages finden Hartz IV und die Deregulierung des Arbeitsmarktes grundsätzlich in Ordnung. Peer Steinbrück hat die Agenda 2010 selbstverständlich voll unterstützt, und der soll nun die sogenannte "Opposition" gegen die soziale Ungerechtigkeit anführen. Eine Agenda 2020 ist folglich auch schon angekündigt und kann nichts Gutes verheißen.

Das DaZ-Netzwerk schreibt: "Eine Zusammenarbeit der Oppositionsparteien wäre dabei wünschenswert." Das ist richtig, aber man sollte sich bitte nicht auf 26 € (SPD), 30 € (Grüne und GEW) einigen. Die Linken haben bisher auch nur 30 € gefordert, aber anders als Rot-Grün haben sie das Problem nicht verursacht, sondern sind als Opposition zur Agenda 2010 erst entstanden. Deshalb haben die Linken bei ihrem Fachgespräch (zu dem auch unsere Initiative eingeladen war), ausdrücklich "Für eine grundlegende Neugestaltung des Integrationskurssystems" geworben. Es geht eben nicht nur darum, ob das BAMF dem Träger 2,54 € oder 2,95 € überweist, sondern es geht darum, was bei der Lehrkraft netto auf dem Konto steht. Angemessen sind für 15 UE pro Woche durchaus 1500 € netto.

Weiterhin geht es bei der grundlegenden Neugestaltung auch um die Frage, welchen Sinn die Integrationskurse machen. Einerseits werden wegen des demografischen Wandels Schulen geschlossen und Lehrer nicht eingestellt, andererseits finden Deutschkurse bei windigen Privatanbietern unter miesesten Bedingungen statt. Wieso werden diese Kurse nicht innerhalb der Schulen angeboten? Die Lehrkräfte könnten ihr Gehalt am Monatsende vom Landesamt für Besoldung und Versorgung bekommen, basierend auf den bestehenden Tarifverträgen. Die Lehrkräfte könnten dann auch Kinder mit Migrationshintergrund unterrichten, oder auch ganz normalen Deutschunterricht erteilen. Aber DaZ-Lehrkräfte in Integrationskursen gehören eben zum zweiten Arbeitsmarkt, und den möchte man nur ungern mit dem ersten Arbeitsmarkt, wo noch richtig gezahlt wird, vermischen.

Weiter heißt es beim Netzwerk: "Die LINKEN betonen vor allem ihre Forderung nach Freiwilligkeit der Teilnahme an IKursen ohne jede Zwangsmaßnahmen. Es wurde von unserer Seite darauf hingewiesen, dass die Verpflichtung zum Deutschkurs insbesondere Frauen helfen könnte, die ansonsten mit einer restriktiven Haltung von Familienangehörigen gegenüber den Kursen zu kämpfen haben könnten." Es würden natürlich Aufträge für die Lehrkräfte und die Träger wegbrechen, wenn man die Kurse freiwillig machen würde. Andererseits zeigt die Erfahrung (siehe unseren aktuellen Beitrag bei MIGAZIN), dass die Kurse gerne freiwillig angenommen werden.

"Die LINKE plant den Entwurf einer völlig neuen Integrationskursverordnung bzw. eine Novellierung des Zuwanderungsgesetzes und unterstützt die Ansiedlung der Kurse beim Bildungs- oder Arbeitsministerium." Diese Frage ist grundlegend: warum ist das Bundesinnenministerium für die Integrationskurse zuständig? Sind Ausländer per se ein Fall für die Polizei? Der Bundesinnenminister lässt keine Möglichkeit aus, Ausländer als "Integrationsverweigerer" zu bezeichnen, weshalb sollte die Oberaufsicht über die Integrationskurse ausgerechnet bei diesem Ministerium liegen?

Last but not least sollte man sich überlegen, ob das Bestehen des B1-Tests unbedingt mit der Verlängerung der Aufenthaltsdauer verknüpft sein muss. Wer diesen Test nicht besteht bekommt nur eine Aufenthaltsgenehmigung für maximal ein Jahr. Wozu das? Soll damit gesagt werden, dass die Menschen zu faul sind zum Lernen? Sollen damit wieder die sogenannten "Integrationsverweigerer" bestraft werden? Linke und Grüne sind gegen diese Verknüpfung, der Rest der Bundestagsparteien dafür.

Abschließend ein Hinweis auf einen Artikel in einem Debattenmagazin des DGB mit dem Titel „Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses oder: Wie prekär ist der Arbeitsmarkt?“ Am Ende des Artikels heißt es lapidar: „Letztlich könnte sich indes erweisen, dass das regulierte „Normalarbeitsverhältnis“ eine Erscheinungsform des „goldenen Zeitalters“ des Kapitalismus (Eric Hobsbawm) war und es unter den gegenwärtigen Bedingungen eine Rückkehr zu dieser geregelten Form der Lohnarbeit als prägende Erscheinungsform nicht geben wird, sondern die Gewerkschaften eine Antwort auf die Herausforderung eines gespaltenen Arbeitsmarktes werden finden müssen.“

Viele Grüße von

Georg, Marion und Stephan



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